Insolvenz in England – Folgen eines Austritts Großbritanniens aus der EU

2013-01-24 11:13

In jüngster Zeit ist in der Beratungspraxis wiederholt die Frage aufgetaucht, ob der Austritt Großbritanniens aus der EU, der durch die Rede des britischen Premierministers vom 23.1.2013 zu einer ernsthaft diskutierten Option geworden ist, deutschen Schuldnern den Weg zur schnelleren Restschuldbefreiung in Großbritannien versperren würde.

Das ist aus mehreren Gründen nicht zu erwarten.

Wie wahrscheinlich es ist, dass es tatsächlich zum Austritt kommt und ob in diesem Zusammenhang auch die unionsrechtlich verfasste Zusammenarbeit der EU-Staaten vollständig aufgelöst wird, soll an dieser Stelle nicht erörtert werden. Immerhin hat der Premierminister selbst das Referendum, das er für das Jahr 2017 in Aussicht gestellt hat, an Voraussetzungen geknüpft, die nur politisch bewertet werden können. Nicht abzuschätzen ist, welche Dynamik die nunmehr in Gang gesetzte öffentliche Diskussion in Großbritannien über das Verbleiben in der EU annehmen wird. Es ist zu erwarten, dass die Europa-Befürworter den Europa-Skeptikern das Feld nicht (mehr) kampflos überlassen werden. Auch mögliche Meinungsunterschiede zwischen der älteren und der jüngeren Generationen werden jetzt zu Tage treten, ebenso werden nunmehr in der öffentlichen Diskussion die Konsequenzen eines Austritts deutlich in den Vordergrund rücken. Selbst wenn es also zu einem Referendum kommt, ist dessen Ergebnis längst nicht ausgemacht. 

Rechtliche Grundlage für die gegenseitige Anerkennung von Insolvenzverfahren innerhalb der EU ist die Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 19. Mai 2000 über Insolvenzverfahren, kurz  Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO).

Sollte diese Verordnung in Großbritannien nicht mehr gelten, bedeutet dies insbesondere, dass Art. 17 EuInsVO, der die automatische Anerkennung britischer Insolvenzverfahren in den anderen (ehemaligen) Mitgliedsstaaten der EU und umgekehrt regelt, im Verhältnis zwischen Großbritannien und der Rest-EU nicht mehr gilt.

Das bedeutet aber nicht, dass Insolvenzverfahren (genauer: im Rahmen eines Insolvenzverfahrens ergangene Gerichts- und Behördenentscheidungen) nicht mehr gegenseitig anerkannt werden. Folge ist vielmehr lediglich, dass sich die Anerkennung dann wieder, wie auch vor der EuInsVO bereits, nach den bilateralen Vereinbarungen der betreffenden Staaten und dem nationalen Recht richtet. Auch vor und neben der EuInsVO und der EU gab und gibt es Regeln über die internationale Zusammenarbeit in der Rechtspflege.

So sieht die deutsche Insolvenzordnung im elften Teil unter der Überschrift "Internationales Insolvenzrecht" vor, dass „die Eröffnung eines ausländischen Verfahrens anerkannt" wird (§ 344 InsO). Es wird damit eine dem Art. 17 EuInsVO vergleichbare Regelung getroffen.

Die Anwendung der §§ 344 ff. InsO ist derzeit lediglich durch die Bestimmungen der EuInsVO verdrängt, da diese Anwendungsvorrang vor den nationalen Regelungen haben. Diesen Anwendungsvorrang haben bisher aber bereits viele deutsche Gerichte schon nicht beachtet, sondern die Anerkennung der Insolvenzentscheidungen englischer Gerichte fehlerhafterweise, aber mit gleichem Ergebnis, nach §§ 344 ff. InsO beurteilt.

Es ist also nicht zu erwarten, dass deutschen Schuldnern der Weg nach England durch einen möglichen Austritt der EU versperrt wird.

Realistischer erscheint demgegenüber die Erwartung, dass dann, wenn nur das deutsche Recht anwendbar ist, die jetzt bereits erkennbare  Tendenz zur gläubigerfreundlichen restriktiven Auslegung der Anerkennungsvorschriften durch die dann allein zuständigen deutschen Gerichte verstärkt wird. Das disziplinierende Korrektiv der Zuständigkeit des EUGH, dem die Gewährleistung der Freizügigkeit der Gerichtsentscheidungen innerhalb der EU am Herzen liegt, wird dann entfallen. Quelle: www.anwalt.de

Zurück